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mäßigkeit der Kleinstadt hat sie sich zum herben, ernsten
Alltagsleben der eigenartigen ostböhmischen Weber und Bauern geflüchtet;
die Volkskunde hat sie zum Studium sowohl äußerer als auch
innerer Lebensart des Landvolkes gewiesen; die Beschäftigung
mit der vaterländischen Geschichte lenkte ihre Aufmerksamkeit
auf die intimen Wurzeln der cechischen Reformation im
Volksgeiste ; K. Svetla, von der sie ihr sachlicher Realismus scheidet,
lehrte sie, in dem Volke nach großen geistigen Individualitäten,
nach vollblütigen Persönlichkeiten zu pürschen. So entstanden ihre
Monographien der ostböhmischen Vol~sseele, die tapfer, ehrlich
und rücksichtslos die religiöse Wahrheit, die politische Freiheit,
die soziale Gerechtigkeit sucht und sich in diesem
schicksalsschweren Wahrheits- und Freiheitsdrange verzehrt. Einmal ist
es der böhmische Emigrant »Jan Jilek( (1905), der in Berlin
stirbt; dann ein starrköpfiger Sektierer, der Weber »Jifi Smatlan(
(1906), welcher als sozialdemokratischer Schwärmer endet; oder
- in dem Buche »Na Librove grunte< (»Auf dem Bauernhofe
Libra«, 1907) - ein rechtschaffener, aufgeklärter Bauer, dessen
intimes Liebes- und Familienglück eng mit der politischen
Geschichte von 1848 verwoben ist; endlich ein schwärmerischer
Patriot aus dem Piaristenorden "DrasarC' (1913), welcher
überalSchiffbruch erleidet, seine priesterliche Würde sowie sein
Lehreramt verläßt, um in einem weltfremden ostböhmischen Bergdorfe
unter den ärmsten Landleuten die Erlösung seiner wild
aufflackernden Sinnlichkeit und endlich ein tragisches Ende zu
finden. In ihrer größten Komposition, »Deti Cisteho ziveho«
(»Kinder des reinen lebendigen Geistes(, 1909), hat Tereza
Novakova mit der einfachen Form der novellistischen Monographie
gebrochen: um den erschütternden Niedergang der pantheistischen
Sekte der »Adamiten« allseitig zu schildern, schuf sie eine breite
Epopöe einer ganzen Gegend, eines großen Stammes, zeichnete
mit wuchtigem Pinsel eine reiche Galerie von Volks typen, die
sich gegenseitig ergänzen und ein erhaben düsteres Trauerspiel
des verzweifelten Kampfes des freien Gedankens gegen die niedrigen
Ränke der sinnlichen Weh agieren. Die wortkarge,
gedankenschwere und scharfe Kunst von Tereza Novakova überzeugt
durch ihre männliche Wucht und ihren mutigen ·Wahrheitssinn,
was man von den meisten Arbeiten ihrer männlichen Kollegen
nicht eben behaupten könnte. Und diese tüchtige Meisterin der

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