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samte Gebiet der cechischen Litteratur beherrscht aber ein
einziger Kenner, der Universitätsprofessor Ja r 0 s I a v V lee k
(geb. 1860). Durch seine »Dejiny ceske literatury« (~Geschichte
der cechischen Litteratun, seit 1892, bisher unvollendet), wo er
sich auf den Standpunkt der vergleichenden Litteraturforschung
zu stellen und die gesamten litterarischen Erscheinungen aus den
kulturellen Lebensbedingungen zu erklären wußte, hat Jaroslav
Vlcek eine neue Schule gegründet. Als glänzender Porträtist
und zugleich als Meister der satten Milieuschilderung berührt
sich Vlcek, der sich auch als ein besonders guter Kenner des
slowakischen Schrifttums erwiesen hat, mit Jaroslav Goll; doch
dessen feine Ironie, dessen seltenen philosophischen Fernblick
und künstlerisch geschliffenen Stil besitzt Vlcek nicht. Da er
gern großen Zeitströmungen nachgeht, besser wissenschaftliche
als künstlerische Erscheinungen erfaßt, den ideellen
Zusammenhang des nationalen Schrifttums mit der Weltlitteratur
aufzudecken versteht, war er wie keiner dazu berufen die Geschichte
der cechischen nationalen Wiedergeburt auf vergleichender
Grundlage zu schaffen; hier ist er ein Bahnbrecher gewesen. Er wußte
auch vortreffliche Mitarbeiter an sich zu fesseln, die ihn mit
monographischen Untersuchungen unterstützt und vervollständigt
haben; von denselben will ich seine drei Kollegen auf der
Universität Jan Machai (geb. 1855), Jan Jakubec (geb. 1862)
und J 0 s e f Ha n u s (geb. 1862) nennen, welche sich ebenfalls
mit der Litteratur der Wiedergeburt eingehend bp.schäftigen; die
Periode von Halek und Svetla hat ihren Monographisten in
Leander Cech (1854-1911) gefunden.

Gebauers Werke decken sich ganz mit seiner
Persönlichkeit; Gebauers Kampfgenosse Tomas Garrigue Masaryk
(geb. 1850) wirkt dagegen immer mehr durch eigenartige Kraft
und originellen Zauber der Individualität als durch seine Bücher.
T. G. Masaryk ist eine äußerst komplizierte Erscheinung: seinen
slowakischen Ursprung, der sich in seinem ganzen Auftreten
kundgibt, hat er nie verleugnen wollen noch können; dazu treten
tiefgreifende Einwirkungen der russischen und englischen Kultur
und Litteratur hinzu, die er dem vorherrschenden französischen
und deutschen Einfluß gegenüber betont; doch sein in der
positivistischen Philosophie geübter Geist - als Noetiker empfiehlt
T. G. Masaryk die Rückkehr zu Hume, als Soziologe hängt er