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Schaffer zeigt. Doch seine wortkarge, fast epigrammatische
Technik, seine scharf geschnittene , oft beinahe an Karikatur
grenzende Charakteristik, seine farbenreiche, manchmal nahezu
überladene Milieuschilderung, sein knorriges, derbes Temperament,
sein volkstümlicher, würziger Humor zeugen von einer urwüchsigen
Künstlernatur. Sein ganzes Wesen mutet wie ein grofser
Anachronismus, wie ein archaistischer Einfall der Geschichte an;
dieser in sich gekehrte, gelehrte Professor, dem die gesamte
Gegenwart durchaus gleichgültig und fremd ist, findet sich nur
im endenden 16. Jahrhundert heimisch, wo er eigentlich
hingehört. Das buntbewegte Prag des späten 16. und des
beginnenden 17. Jahrhunderts ist Winters geistige Heimat; hier
unter trunksüchtigen Bacchalaureaten und liederlichen Scholaren,
unter verlaufenen Nonnen und gutmütigen Ratsherren, unter
wilden Soldaten und schnurrigen Spafsmachern, die er besonders in
»Rozina, dem Findling« (1906) und )Magister Campanusc (1907),

'von seinen älteren Arbeiten abgesehen, so vortrefflich abkonterfeit
hat, lebt und webt dieser originelle Meister, der bisher den
Höhepunkt der historischen Erzählung bei den Cechen bedeutet.

In der Zeit, da die slawische Idee das Leben wie die Litteratur
in Böhmen mächtig durchdrang, da die Politiker wie die Dichter
der slawischen Wechselseitigkeit unermüdlich dienten, wurde auch
in der cechischen Öffentlichkeit gröfsere Aufmerksamkeit auf
das slowakische Schrifttum in Ungarn gelenkt. Auch in der
ungarischen Slowakei war in der schwülen Reaktionszeit, die auf
die wild aufgeloderte revolutionäre Begeisterung der slowakischen
Patrioten gefolgt war, das litterarische Leben gänzlich gehemmt,
und in der im Jahre 1850 orthographisch geregelten slowakischen
Schriftsprache erschienen gar wenige Bücher. Erst in den
sechziger Jahren rührte sich in der Slowakei wieder ein frisches,
vielversprechendes litterarisches Leben. Eine neue Generation
versammelt sich in einigen, die cechischen Vorbilder
nachahmenden Musenalmanachen; eine grofsartig angelegte patriotisch
litterarische Institution, die »Matice Slovenska« wird feierlich
begründet, neue Zeitschriften treten ins Leben, mehrere slowakische
Städte werden zu Mittelpunkten des geistigen W ebenso Was
geschrieben und gedruckt wird, gehört noch immer der poetischen
Spätromantik mit ihrer panslawistischen oder
patriotisch-historischen Färbung an: der gröfste slowakische Poet, Ondrej SIadkovic,