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rauschen durfte; doch wieder erwachte die mystische Unruhe
seines kranken Herzens, das sich leidenschaftlich nach Gott, Tod
und Nirwana sehnte.

-iDieser Zwiespalt spiegelt sich auch in seinem poetischen
Werke wieder, dessen Stoffe ebenso mannigfaltig und vielseitig
sind wie seine Formen. Das mittelalterliche Frankreich und
Italien sind hier ebenso oft vertreten wie Japan und China; die
altnordische Heldensage gesellt sich hier zu dem altböhmischen
Heidentum; das rätselhafte Irland in dem ersten Dämmerschein
des Christentums steht hier neben dem ritterlichen Spanien.
Doch das Mittelalter drängt sich immer in den Vordergrund,
die katholischen Völker und die feudalen Institutionen werden
mit besonderer Vorliebe behandelt; gern läIst sich der Dichter
von der altertümlichen Volksepik anregen. Eine phantastische
Handlung spielt sich gewöhnlich in einer romantischen Umgebung
ab, die der Dichter archaistisch und prächtig auszustatten weiIs;
die üppige, schwüle Schilderung packt des Lesers Phantasie, die
leidenschaftliche, suggestive Handlung erregt seine Teilnahme:

Zeyers höchste Kunst besteht eben darin, den Leser in einen
poetischen Opiumrausch zu versenken.

Wie die poetischen Stoffe so wechseln bei Zeyer auch die
litterarischen Kunstgattungen : neben einem wild abenteuerlichen,
episch durchaus überfüllten Roman erzählt er eine naive Legende
in dem primitiven Stile des kirchlichen Mittelalters; nach einer
gewaltsam verwickelten Intrigennovelle bringt er ein äufserst
ehrliches autobiographisches Bekenntnisbuch ; auf eine frei
improvisierte Verserzählung folgt ein groIses Heldenepos in
fragmentarischer Ausführung; zu einem pathetischen
Deklamationsdrama spätklassizistischen Schnittes gesellt sich ein zartes, duftiges
Proverb; ein kinderhaftes Märchen ist mit einem raffinierten
Dokument der modernen Seelenkunde gepaart. Doch Zeyers
Gestaltungskraft und Kompositionskunst kann sich mit seiner
kühnen Phantasie und seiner feinen Kultur keineswegs messen;
selten gibt er mehr als eine freie Paraphrase seiner geschickt
ausgesuchten Vorlage; sein poetischer Stil ist eintönig und
ermüdend, da er immer dieselben pathetischen und koloristischen
Mittel anwendet; seine romantische Psychologie bewegt sich nur
in den schroffsten GegenSätzen der sinnlichen Leidenschaft und der
reinsten Tugend, des wildesten Hasses und der selbstlosen Hin-