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allmähliche moralische Entwicklung der Menschheit; die Schmerzen
und Sünden des Individuums gehen in der kosmischen Harmonie auf.
Nur wenige Leser können ihm in die mystischen Sphären
folgen, wo es keine Leidenschaft, kein Lachen, kein Weinen gibt,
und so steht Bfezina, ein menschenscheuer, in einem
weltverlorenen mährischen Städtchen lebender Einsiedler, in der cechischen
Poesie ganz vereinsamt da; nur einzelne junge Dichter, die ihn
geradezu vergöttern und jeder seiner Offenbarungen über Kunst
und Leben andächtig lauschen, haben von ihm tiefgreifende
Ant-egungen empfangen.

Die beiden befreundeten Illusionisten Otokar Theer und Jan
z Wojkowicz, die sich ähnlich wie Bfezina von der Wirklichkeit
zu philosophischen Träumen abwenden, verbinden in ihren
formvollendeten lyrischen Gedichten eine ungemein feine Sensibilität
mit einem nach Weltgeheimnissen lechzenden Intellekt. Otakar
T h e e r (geb. 1880) ist der entschieden kräftigere von beiden ;
in seiner grausam wollüstigen Seele sehnt er sich nach kühnen
Experimenten mit Ideen, Sensationen und raffinierten Erlebnissen
und gelangt nach all diesen, manchmal recht schme.rzvollen
)Heerfahrten nach dem Ich« (1900), deren Erlebnisse er mit
südlich üppiger Farbenpracht und sehr origineller Verskunst
beschrieben hat, endlich zu der düsteren, gespensterhaften Burg der
ewigen Illusion. Sein Freund Ja n z Wo j k 0 w i c z (geb. 1880),
ein knabenhafter, mimosenartiger und schmachtender
Melancholiker, der besonders die reichen Halbtöne und die 'zarten Nuancen
der Frühlingslandschaft und der Herbstnatur zu treffen weifs, hat
sich, in den Spuren des ihm wahlverwandten Novalis wandelnd,
eine ganz seltsame pantheistische Kosmologie, eine naive und
zugleich doktrinäre Metaphysik geschaffen, die besonders in seinen
melodischen )Meditationen» (1905) an den Tag tritt.

Diese Epigonen Btezinas sind nicht weit entfernt von der
scharf ausgeprägten Dichtergruppe der cechischen Dekadenten,
welche sich um die )Moderne Revue« schart, von dem
herausfordernd exotischen Kritiker und geschmackvollen Übersetzer
Arnost Prochazka (geb. 1869) im Jahre 1894 gegründet. Ihr
typischer Vertreter ist der bereits als Kritiker erwähnte Dichter
Jiti Karasek ze Lvovic, der, eigenartig und kühn in seiner
Vers- und Prosa lyrik , die reichen Anregun~en von Baudelaire
und Verlaine, Huysmanns und Maeterlinck, Przybyszewski und