Das tschechische Drama der Gegenwart.
\1on Dr. Rrne fiouak.

m 19. nODember 1883 hielt das tschechische Drama seinen Einzug in das
neuerbaute nationaltheater am rechten Ufer der moldau. Es trat in das
herrliche Renaissancegebäude mit der historischen Tragödie .Salomena" eines
bisher unbekannten Dichters Bohumil Rd6.mek ein, die zwar kein hohes
KunstwerK war, jedoch in ihrer Zeit eine geradezu symbolische Bedeutung
hatte. Jn schwungDollen \7ersen und satten Bildern wurde da die
tschechische ~rührenaissance aus dem XVI. Jahrhunderte Derherrlicht, wo die
italienischen Künstler neue ~ormideale nach Böhmen brachten und wo in dem

aufblühenden Prag eine reiche Saat Don Kunsthoffnungen aufkeimte und grünte. Jl.hnliches er·
wartete man ja eben jef}t uon dem tschechischen Drama, nachdem man ihm ein so schönes Heim
erbaut hatte. Den damaligen Zeitidealen gemä~ sollten nationale Stoffe in moJernen Kunstformen
dargeboten werden, es sollte eine an die Entwicklung des romantischen Dramas anknüpfende
Tradition geschaffen werden, es sollte aus dem Geiste der tschechischen Geschichte eine tragische
Kunst entstehen j kurzum das ganze \7olk sehnte sich nach der Renaissance des tschechischen
Dramas.

Doch diese Hoffnungen sollen nicht erfüllt werden.

Das tschechische Drama der Gegenwart besif}t keinen Smetana, keinen ~ibich und
wenes auch einzelne uorzügliche Einzelschöpfungen aufweisen kann, so fehlt ihm durchaus der gro~e
Zug einer gesef}mä~igen Entwicklung, die segensreiche Einheit des organischen Wachstums, die
innere notwendigkeit. Rllzu rasch wechseln in unserem Drama die uerschiedensten Richtungen.
Stil arten und \7orbilder. Die Derwandlungsfähige Begabung unserer Dichter pendelt zwischen
Gegensäf}en. Dem süfJen Rausche der Extensität und des Uniuersalismus Dtrfallen, erleben unsere
Dramatiker ihre Kunst nicht intensiD genug. Es scheint auch, als ob die Tschechen, wie die SlaDen
überhaupt, keine eigentliche dramatische Begabung hätten. Das Beste, das sie auf der Bühne
bieten können, sind mehr lyrische denn dramatische Reize, eher feine Stimmungsbilder
denscharf gezeichnete Rktionen, eher satteL:okalfarbe als psychologische motiDierung. Unsere musik
hat bereits die Welt erobert; unsere ebenso hoch stehende 1:yrik wartet nur darauf Dom
Ruslande entdeckt zu werden; unsere impressionistischen maler brauchen den \7ergleich mit den
dc!Utschen· Künstlern nicht zu fürchten; ganz anders steht es jedoch um unser Drama. Es Dermag
der gereiften dramatischen Kunst der Deutschen oder der ~ranzosen wohl keine neuen Rnregungen
zu bieten, aber es entrollt ein anschauliches Bild, wie ein äufJerst begabtes \7olk jahrelang
unermüdlich um eine nationale Kunst ringt, ohne dabei die hohen ästhetischen ~orderungen zu
Dergl'ssen; wie es durch zahlreiche Enttäuschungen und mifJerfolge keineswegs entmutigt seine
ßrbeif immer Don Dorne anfängt j wit es immer hofft, die Zeit müsse kommen, wo ihm eine
grofJe Dramatik entstehen werde, jener ähnlich, die seine wunderoollI.' Geschichte trägt und erfüllt.

Jn den ersten Jahren des tschechischen nationaltheaters war der kosmopolitische
Eklektizismus für unser Drama entscheidend. Das Theater stand unter der L:eifung eines klugen

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