- 319 endlich mußte man wieder nur von täuschenden Hoffnungen und erhabenen politischen Symbolen zehren. Schon im Jahre 1861, inmitten des konsequentesten Zentralismus, klammerte sich das leichtgläubige cechische Volk an die feierliche Erklärung des Kaisers, er werde sich in Prag krönen lassen und werde dadurch die staatsrechtliche Selbständigkeit der böhmischen Kronländer anerkennen. Doch diese Erwartungen gingen fehl, schon ein Jahr später fühlten sich die cechischen Politiker gezwungen, der Wiener Regierung gegenüber zu erklären, daß sie sich infolge des zentralistischen Regimes von jeder realen Parlamentsarbeit zurückziehen würden; sie führten auch ihr Vorhaben durch und haben Jahrzehnte hindurch ihre passive Opposition getrieben. Doch die kleinste Gelegenheit genügte, um die hoffnungsvolle Begeisterung für den Kampf um das historische Staatsrecht in Flammen zu setzen: mit einem fast kindlichen Enthusiasmus werden im Jahre 1867 die aus Wien zurückkehrenden Krönungsinsignien begrüßt, und zu dem sogenannten »Septemberreskripü vom 12. September 1871, wo sich der Kaiser Franz Joseph 1. abermals bereit erklärte, sich in Prag krönen zu lassen, sieht man wie zu einem nationalen Heiligtum empor. Man pocht mit einer rührenden Beharrlichkeit auf seine historischen Rechte, welche die Wiener Regierungen allerdings weiter unberücksichtigt lassen, und so lebt die cechische Nation in einem fortwährenden Rausch von historischen Erinnerungen, die sie für die trübe und aussichtslose Gegenwart entschädigen müssen. Nebenbei wird eine ebenso naive und erfolglose auswärtige panslawistische Politik getrieben, die, ähnlich wie der Kongreß der slawischen Nationen vom Jahre 1848, kaum weiß, wo sie eigentlich hin will. Im Jahre 1863 bringt der letzte Aufstand der Polen die cechische Jugend, darunter auch namhafte Schriftsteller, Publizisten, ja Frauen, in Gärung; man lernt Polnisch, man liest und übersetzt polnische Romantiker, besonders Mickiewicz und Slowacki, man bewundert die monumentalen Gemälde aus der polnischen Geschichte von J. Matejko, man singt polnische revolutionäre Lieder, man bewaffnet sich und eilt, den kämpfenden Brüdern zu helfen. Die älteren Patrioten mißbilligen es als eine gefährliche Donquichotterie, bald jedoch begehen sie eine viel schlimmere. Im Jahre 1867 bei Anlaß einer ethnographischen Ausstellung in Moskau wallfahren mehrere angesehene Ver-