- 340 zugunsten der satten und suggestiven Synthese. Aber daheim wollen die begeisterten Anhänger Jiraseks um keinen Preis einsehen, daß eine nicht mehr ferne Zukunft der unkritischen Überschätzung dieser lokalen Größe, dieses cechischen Sienkiewicz ein jähes Ende machen könnte. Dann wird man aber wahrscheinlich einen bisher nicht genug beachteten historischen Novellisten, den vortrefflichen Z i k m und W i n t e r (1846-1912) schätzen lernen, der viel höher als Jirasek steht. Z. Winter selbst, ein Professor der Geschichte an dem altehrwürdigen akademischen Gymnasium in Prag, das schon im 16. Jahrhundert gegründet wurde, betrachtete seine Novellistik als ein bloßes Beiwerk seiner fachwissenschaftlichen kulturhistorischen Untersuchungen, in welchen er, ein treuer Schüler Tomeks, sich mehr als ein fleißiger Sammler denals ein kühner Schaffer gezeigt hat. Die unerschöpfliche Fülle der öffentlichen und privaten Urkunden beherrschend, in den dunkeln Archiven der böhmischen Städte, vorzüglich aber seiner leidenschaftlich geliebten Geburtsstadt Prag brütend, jede Einzelheit geduldig verzeichnend, hat Z. Winter seinem Volke die Kulturgeschichte des 15. bis 17. Jahrhunderts, wenn auch mosaikartig, aus dem europäischen Zusammenhange losgelöst, geschaffen: das Städte- und Schulwesen, das religiöse und das gewerbliche Leben, die Geschichte des Handels und der Trachten bewältigte der streng konservative, den religiösen und sozialen Umwälzungen wenig geneigte Winter in zwölf großen Bänden. Doch seine wortkarge, fast epigrammatische Technik, seine scharfgeschnittene, oft beinahe an Karikatur grenzende Charakteristik, seine farbenreiche, manchmal nahezu überladene Milieuschilderung, sein knorriges, derbes Temperament, sein volkstümlicher, würziger Humor zeugen von einer urwüchsigen Künstlernatur. Sein ganzes Wesen mutet wie ein großer Anachronismus, wie ein archaistischer Einfall der Geschichte an; dieser in sich gekehrte, gelehrte Professor, dem die gesamte Gegenwart durchaus gleichgültig und fremd ist, findet sich nur im endenden 16. Jahrhundert heimisch, wo er eigentlich hingehört. Das buntbewegte Prag des späten 16. und des beginnenden 17. Jahrhunderts ist Winters geistige Heimat; hier unter trunksüchtigen Bacchalaureaten und liederlichen Scholaren, unter verlaufenen Nonnen und gutmütigen Ratsherren, unter wilden Soldaten und schnurrigen Spaßmachern, die er be-