- 350 europäischen Poesie und Kunst abhängig, die sie sich mit einer feinen Empfänglichkeit angeeignet und dieselbe ihren Landsleuten genial vermittelt haben. Beide, lange als unnationale Weltbürger verschrien und geschmäht, haben den Weg aus der Fremde zur Heimat zurückgefunden, haben das nationale Problem tief und tragisch erlebt, haben den Begriff der cechischen Dichtung erweitert und vertieft. Doch diese gemeinsamen Züge verschwinden vor den wesentlichen Unterschieden der beiden Männer: dem Gefühlsmen5chen, dem mystischen Schwärmer, dem unzeitgemäßen Romantiker Zeyer steht der poetische Rationalist und Sinnesmensch, der diesseitige Pantheist, der moderne Renaissancedichter Vrchlicky schroff gegenüber. ]ulius Zeyer (1841-1901) hat sich schon in seinem späten Erstlingswerke »Duhovj ptak« (»Der Regenbogenvogel«, 1873) dem Publikum als ein kühner, einsamer Fremdling vorgestellt, und so ist er immer geblieben, eine seltsame Ausnahme in dem cechischen Schrifttum. Aus einer reichen Prager Großhändlerfamilie stammend, in deren Adern auch deutsch-jüdisches Blut zirkulierte, und die stolz auf ihre aristokratischen Ahnen war, mußte sich Zeyer von keiner Profession fesseln lassen, konnte große Reisen im europäischen Westen und im Orient unternehmen; konnte· seine museumartigen , wertvollen Sammlungen von schönen Bibelots, altertümlichen Devotionalien und primitiven Erzeugnissen der Volksindustrie anlegen; er bildete sich durch eine breit verzweigte Lektüre, die neben der klassischen und romantischen Poesie auch orientalische Theosophie und katholische Mystik umfaßte; er schwelgte in intimen, freundschaftlichen Verhältnissen, vorzugsweise mit ästhetisch veranlagten Frauen. So wurde sein Leben zu einem stolzen, einsamen Traume, den keine banale Wirklichkeit entweihen durfte, aber dem auch jeder unmittelbare Kontakt mit der täglichen Realität fehlte. Zeyer lebte viel im Auslande oder in dem weltverlorenen südböhmischen Städtchen W odnan und hatte zu den Litteraten in Prag wenige Beziehungen; er verachtete die Politik und besonders die modernen liberalen und sozialreformatorischen Bestrebungen, und so gestaltete er seine Existenz zu einem konsequenten Anachronismus, zu einem modernen Mönchtum ästhetischer Observanz. Seine Lebensanschauung war diister und pessimistisch. Zeyer hatte unter dem inneren Zwiespalt seiner komplizierten Natur