- 352 leidenschaftliche, suggestive Handlung erregt seine Teilnahme: Zeyers höchste Kunst besteht eben darin, den Leser m emen poetischen Opiumrausch zu versenken. Wie die poetischen Stoffe, so wechseln bei Zeyer auch die litterarischen Kunstgattungen : neben einem wild abenteuerlichen, episch durchaus überfüllten Roman erzählt er eine naive Legende in dem primitiven Stile des kirchlichen Mittelalters; nach einer gewaltsam verwickelten Intrigennovelle bringt er ein äußerst ehrliches autobiographisches Bekenntnisbuch ; auf eine frei improvisierte Verserzählung folgt ein großes Heldenepos in fragmentarischer Ausführung; zu einem pathetischen Deklamationsdrama spätklassizistischen Schnittes gesellt sich ein zartes, duftiges Proverb; ein kinderhaftes Märchen ist mit einem raffinierten Dokument der modernen Seelenkunde gepaart. Doch Zeyers Gestaltungskraft und Kompositionskunst kann sich mit seiner kühnen Phantasie und seiner feinen Kultur keineswegs messen; teilweise gibt er nur eine freie Paraphrase seiner geschickt ausgesuchten und gewandt kombinierten Vorlagen; sein poetischer Stil ist eintönig und ermüdend, da er allzu oft dieselben pathetischen Mittel anwendet; seine romantische Psychologie bewegt sich nur in den schroffsten Gegensätzen der sinnlichen Leidenschaft und der reinsten Tugend, des wildesten Hasses und der selbstlosen Hingabe, der stolzesten Herrschsucht und der zartesten Demut; seine Motivierung verrät oft die Naivität seiner Quellen. Manche von seinen berückenden und prachtvollen Werken bieten nur eine Reihe von glänzenden Improvisationen ohne festere Komposion und feinere Psychologie. Am höchsten stehen jene Schöpfungen, wo Zeyer fast autobiographisch das leidenschaftliche Leben seines dualistischen Innern enthüllt und zugleich das ihn immer ganz leidenschaftlich beschäftigende nationale Problem in den Vordergrund rückt; hier schöpft er aus dem vollem und überwindet durchaus den bequemen Standpunkt eines Nach- und Umdichters. Allzu oft verliert sich Zeyers persönliche Eigenart in den bundbemalten , romantischen Kulissen verschiedener epischer Handlungen, die sich eng an das alte Volksepos anschließen: in »Vysehrad« (1886, deutsch von O. Malybrok-Stieler 1898) ist es Böhmens heidnische Urzeit, in der die übermenschliche Gestalt