- 355 Werke alle Ideen und Lebensformen der modernen Menschheit, wie sie sich seit der Renaissancezeit im westlichen Europa entwickelt haben. Mit den Augen der modernen Geschichtsphilosophie betrachtet Vrchlickj das große historische Weltdrama; als tiefgebildeter und freisinniger Sohn des 19. Jahrhunderts stellt er sich zum Mittelalter; wie ein begeisterter Humanist, der jedoch die Fühlung mit seiner Zeit nie verliert, klammert er sich sehnsüchtig und leidenschaftlich an die erhabene Schönheit und freie Moral der antiken Welt - und während sein grüblerischer Januskopf mit einem Gesichte rückwärts gewendet ist, blickt das andere, deutend und hoffend zugleich, der dämmernden Zukunft entgegen. V rchlickj hat selbst seine angebornen, erblichen Anlagen nie verkannt, und auch dem Litterarhistoriker werden sie manches erklären. Wir begegnen bei ihm wie bei Zeyer einer eigentümlichen Blutmischung : sein Vater entstammte einem jüdischen Geschlechte, das auf einige Rabbiner stolz sein durfte, die mütterliche, sehr fromme und rein cechische Familie hat dagegen der katholischen Kirche vorzügliche Priester geschenkt. Der forsche Unternehmungsgeist, die leichte Empfänglichkeit für äußeres Leben, aber wohl auch das unstete, bewegliche Wesen und die starke Sinnlichkeit des Dichters sind ein väterliches Erbe; seine grüblerischen Anlagen, seinen religiösen Sinn, sein reiches Gefühlsleben verdankt er der Mutter und ihren Ahnen. Seine Jugend war eher trübe als herzerfreuend. In Laun am 17. Februar 1853 geboren, verbrachte der junge Emil Frida, da die Eltern in beschränkten Verhältnissen lebten, die Kinderzeit bei seinem Onkel, dem Pfarrer A. Kola!', welcher ihn auch in den Studien unterstützt und später für die geistliche Laufbahn bestimmt hat; in seiner reichen Bibliothek machte der Gymnasiast seine ersten Litterarstudien. Doch den sehnlichen Wunsch des Oheims vermochte er nicht zu erfüllen, nach einem Semester verließ er das Priesterseminar, um sich auf der Prager Universität für den Beruf eines Mittelschullehrers vorzubereiten: allgemeine Geschichte, französische Litteratur, italienische Renaissancekunst standen schon damals im Vordergrunde seiner Interessen. Als zweiundzwanzigjähriger Hofmeister hat er Nord- und Mittelitalien kennen gelernt: damals hat er das südliche Meer für die cechische Dichtung erobert; zugleich wurde er von den Alpen und den Appeninen 23*