- 366 Nach einer Zeit gesunkener Kraft und verengter Horizonte kam eine Periode neuen Glaubens, positiven Pantheismus, unpersönlicher Hoffnung an die Menschheit, weiser Ergebung in den Schoß der im Kreise treibenden Natur. ,Koralove ostrovy« ()Die Koralleninseln«, 1908) und »Strom zivota« (»Der Lebensbaum«, 1908) heißen die zwei schönsten Bücher, welche diese Verjüngung offenbaren. Es war vier Jahre vor dem Tode des Dichters, als er, den großen und modernen Hymnikern Goethe, Whitman, Verhaeren die Hand reichend, mit Lächeln im goldenen Schatten des Lebensbaumes ausruhte. Und damals betete er zu den Göttern und sprach zwei große Bitten für Leben und Tod aus. Aber die Götter blieben taub. Er durfte nur noch ein einziges Buch schreiben, das erst aus seinem Nachlasse veröffentlicht wurde; es heißt »Mec Damokluv« (»Das Schwert des Damokles«, 1912). Die trübsten Vorahnungen des herannahenden Siechtums umgaukeln das Buch: drückende Vorstellungen, welche schon der Titel des Werkes andeutet, suchen die fieberhafte Phantasie des Poeten heim. Er kämpft mutig, aber vergebens mit ihnen und entwirft mit lapidarer Kraft balladische oder freskoartige Bilder dieser unheimlichen Wahnbegriffe. Ja, es ertönen dabei noch zarte, duftige Lieder und Gedichte, erhaben religiös oder fein erotisch, verführerische Versprechungen neuer Entwicklungsstadien, die der Dichter nicht mehr erleben durfte. Die Wertschätzung Vrchlickys in der cechischen Kritik und in der Öffentlichkeit überhaupt bildet ein eigentümliches Kapitel. Verwöhnt wurde dieser größte Dichter seiner Nation von der Kritik nie; im Gegenteil, er selbst machte die Kritik dafür öfters verantwortlich, daß er in seiner Manneszeit so verbittert und verstimmt wurde. Zuerst waren es panslawistisch und patriotisch gesinnte Doktrinäre, denen dieser Exotiker schon vom rein stofflichen Standpunkte aus nicht behagen konnte; es waren engherzige und pedantische Krittler von schulmeisterlichen Grundsätzen und Manieren, die an V rchlickys Sprach-, Vers- und Bildertechnik allerlei auszusetzen hatten; es waren hausbackene Moralprediger, die den heidnischen kühnen Erotiker am liebsten für Familien- und Schulgebrauch zugestutzt hätten. Dies konnte den Dichter allerdings nicht günstig für die Kritikerzunft stimmen; er machte aus seiner Geringschätzung der Kritiker auch kein Hehl. Dann, als die Sturm- und Drangjahre der neuen Generation