394 Auch bei ihr verbindet sich das moralkritische Pathos mit der sozialen Psychopathologie; doch während M. A. Simacek seine Werke fern von jeder Tendenz zu halten wußte, ist Frau B. Vikova- Kuneticka, der erste weibliche Abgeordnete in Böhmen, eine leidenschaftliche Frauenrechtlerin, die ihre Novellistik zu eifrigster feministischer Propaganda benutzt. Von ihren ersten Arbeiten auf dem Gebiete der kurzen Erzählung und des Romans läßt sich im ganzen nichts sagen: es sind fleißige, von der landläufigen Konvention nirgends abweichende schriftstellerische Handarbeiten, für die sich unter den Abonnentinnen der Familienblätter immerhin dankbare Leser gefunden haben. In einigen beschäftigt sich die Schriftstellerin schon mit verwickelten sexuellen Problemen, die sie mit einer naiven Einseitigkeit und einem entschiedenen Moralismus behandelt; bald aber warf sie die mit Geschick beherr~chte und gut unterhaltende Romanform ganz weg, um ihres Anklageamtes gegen die Männerherrschaft und Männermoral uneingeschränkt zu walten. Ihre Bücher, wie der in einer dumpf sinnlichen Atmosphäre atmende Lehrerinnenroman «Medficka« (1897) oder »Vzpoura« ()Aufruhn, 1900), ein wildpathetisches Bekenntnisbuch einer sich befreienden jungen Mutter, oder endlich »Pan« (»Der Herr«, 1906), ein verzweifelt und sinnlos stammelndes Werk von geschlechtlicher Reinheit im Björnsonstil, sind leidenschaftliche Konfessionen, gallerfüllte Proteste, lyrisch-epische Improvisationen mit ganz spärlicher Handlung. Die Moralisten und Sozialkritiker werden diesen Werken für manche fruchtbare Anregung Dank wissen; die litterarische Kritik muß jedoch nur konstatieren, daß hier ein großer Aufwand von psychologischer Analyse, üppiger Wortkunst und lyrischem Pathos schmählich vertan worden ist. Den bösen Geist der Schwere, der die sämtlichen Werke von Simacek, Laichter und Kuneticka beherrscht und wohl der russischen Beeinflussung anzurechnen ist, hat der bewegliche Franzosenschüler Vaclav Hladik (1868-1913) mit einer entschiedenen Überzeugung bekämpft und aus seiner Romanproduktion verbannt. In seinen ersten realistischen Skizzen und Novellen bemühte sich Hladik als scharfer Beobachter und kundiger Psychologe die Prager Kaufmannswelt , den Prager Geldmarkt, das Prager Bankwesen zu schildern; schon damals sah er das fieberhafte Großstadtleben mit geckenhafter Ironie,